Lyrik, Rilke und die Stille im „Zeit-losen“ – von Alexandra Riffler

Die Welt braucht Lyrik! Mein Anliegen ist Lyrik in die Welt zu tragen, nicht nur als eine der ältesten literarischen Gattungen und einer besonderen Kunstform der Sprache, sondern auch als tiefe Auseinandersetzung mit Sprache, Worten und dem Gefühl dafür. Sie ermöglicht uns einen anderen, intensiven Blick auf die Welt und schafft mit wenigen Worten gebündelt eine Emotion, eine Erfahrung, ein Gefühl, einen Gedanken, eine Stimmung auf den Punkt zu bringen. Sie ist eine Momentaufnahme, die von starken Bildern lebt. Nichts ist willkürlich: Jedes Wort ist präzise gewählt und gesetzt und folgt einem Rhythmus und Takt wie eine Melodie mit Wendungen, Steigungen und Gefällen.
Für mich sind die „alten“ Meister meine Lehrmeister und diese sich zu „verinnerlichen“, dem Text/Gedicht voll und ganz hinzugeben, dafür muss ich mich intensiv mit diesen Worten auseinandersetzen, dh. nicht nur lesen, ich muss sie vor mein inneres Auge bringen. Diese Auseinandersetzung ist nichts Schnelles, es braucht vor allem eines: Zeit…
Ein Tipp gerade für Gedicht, aber auch für andere Texte (Dramen, Monologe, …), um eine möglichst intensive Erfahrung zu machen, ist schlicht und einfach auswendig lernen: Wort für Wort, Zeile für Zeile, Vers für Vers – und auch niederschreiben und jedes Wort verstehen zu beginnen…auch in Gedanken für sich zu zerlegen und wieder zusammenzusetzen…nicht irgendwelchen vorgegebenen Interpretationsmustern/-vorgaben zu folgen, denn eines ist sicher: Jeder Lyriker, Autor möchte, dass sich seine Leser selbst mit dem Text, den Worten auseinandersetzen und für sich „übersetzen“ – eben „verinnerlichen“, sich einlassen und dabei innerlich, geistig frei auch auf das Selbstverstehen vertrauen.
Einer der bedeutendsten
„Sprachbild-Künstler“, einfühlsam und eigenwillig zugleich, ist Rainer Maria
Rilke. Als Lyriker beschreitet er mit seinen Gedichten einen anderen als
gewohnten Weg und eröffnet so neue Möglichkeiten in der und für die Lyrik:
Seine Rhythmik ist anders…seine
Bildsprache besitzt eine immense Kraft…und er setzt Alltägliches (Tiere,
Gegenstände, das was ihn und uns umgibt) symbolisch für die Innenwelt, das was
ihn und uns beschäftigt, ein. Eine Welt, die einerseits der Realität sehr nah
bleibt, aber auch utopische Räume mit einer sprachlichen Schönheit erschafft.
Die Gedanken alleine reichen für das Verstehen seiner Gedichte nicht aus, viel passiert
hier auf der Gefühlsebene…dafür muss ich mich aber ganz auf seine Worte
einlassen.
So auch bei folgendem Gedicht – kurz, aber mit tiefen Inhalten und einer unglaublichen Schönheit seiner einfühlsamen Sprache – in dem sich immer wieder Neues entdecken lässt:
Das ist die Sehnsucht: wohnen im Gewoge
und keine Heimat haben in der Zeit.
Und das sind Wünsche: leise Dialoge
täglicher Stunden mit der Ewigkeit.
Und das ist Leben. Bis aus einem Gestern
die einsamste von allen Stunden steigt,
die, anders lächelnd als die andern Schwestern,
dem Ewigen entgegenschweigt.
Für mich löst Rilke hier die Zeit auf – immer im Gewoge fließen, und sich doch endlich aus unserem „Konstrukt“ Zeit befreien…es gibt dort keine Heimat und selbst die täglichen Stunden möchten Dialoge führen mit der Ewigkeit…es entsteht eine unendliche Stille – die ich als unfassbar angenehm empfinde, sie ist ohne Druck, ohne Muss – die Sehnsucht, die Wünsche, das Leben wohnen darin…sie verlangen danach und lächeln dazu.
Jedes Bild, das er hier erzeugt ist stark und fordert nach Offenheit und Fantasie…man erkundet ZEIT-LOS jedes seiner Worte, fängt sie ein und lässt sie Zeile für Zeile wieder los – entdeckt Neues – es ist eine spannende Reise ohne Ende. Er lässt frei, Freiheit verspüren und Dialoge führen, mit was – mit wem – wohin? Mit der Stille, nach der ich mich sehne, die mir die Ruhe, meine Mitte gibt – wenn ich das zulasse, vor ihr keine Angst habe – denn Angst hemmt und ich verliere mich selbst, die Stille gibt mir die Freiheit, die mich über Grenzen wachsen lässt und gibt mir die Chance, mich selbst zu finden im Ewigen, im Zeit-losen.